Das Bauen befindet sich im digitalen Umbruch. Die Corona-Pandemie, die seit dem Frühling 2020 ungeahnte Veränderungen für unser Arbeits- und Sozialleben bedeutet, beschleunigt diesen Prozess innerhalb der Branche ungewollt, doch mit großer Vehemenz. So wurden dezentrales Arbeiten im Home-Office oder digitale Bauprojektbesprechungen via Videokonferenz binnen weniger Wochen Standard sowie gelebter Alltag. Jedes Unternehmen hat sich auf digitale Arbeitsprozesse, auch außerhalb der industriellen Fertigung, umgestellt. Es erscheint fast paradox: Das Bauen reagiert auf die rigiden, teilweise lähmenden Bewegungs- und Arbeitseinschränkungen im Zeichen der Virus-Bekäpfung mit technischer Improvisation und nutzt Corona als Digitalisierungstreiber für die ganze Branche.
Die dadurch notwendige Transformation von analogen Denk- und Handlungsszenarien zu qualifizierten, digitalen Entscheidungs- und Arbeitsprozessen befördert zahlreiche Optionen und Potenziale. Diese gilt es zu erkennen und zu nutzen. Für das Bauen als kollaborativen Prozess, an dem viele Partner beteiligt sind, bedeutet digitale Transformation vor allem eines: Offenes Denken und Handeln in vernetzten Strukturen. Das ist nicht neu, denn Teamwork und partnerschaftlicher Austausch sind seit jeher im Bauprozess verankert. Doch verändern sich die Abläufe, wie in Zukunft geplant, gebaut, betrieben, saniert, rückgebaut oder recycelt wird. Gleichzeitig gewinnen die offene Kommunikation im Projekt und die Relevanz vernetzter Arbeitsabläufe weiter an Bedeutung.
BIM-Planungsmethode digitalisiert die Baubranche
Eine Fülle neuer und sinnvoller Werkzeuge unterstützen die Partner in den Architektur- und Planungsbüros, in den Ämtern und Institutionen sowie in Forschung und Technologieentwicklung schon jetzt: Digitale Planungsmethoden wie BIM oder ein Software-übergreifender Open-BIM-Prozess ergänzen die Werkzeugkästen der Planungs- und Baubeteiligten. Ein offener und uneingeschränkter Daten- und Informationsaustausch ist dabei die Grundlage für Open-BIM. Herstellerübergreifende Programmschnittstellen wie IFC und BCF erleichtern den verlustarmen Informationsaustausch sowie die Kommunikation und fördern die Zusammenarbeit im Bauprojekt.
Digitale Planungs- und Bauprozesse, die den gesamten Gebäudelebenszyklus fokussieren, bieten ohne Zweifel Zukunftsperspektiven. Doch ist es nicht das oft zitierte BIM, das als neue Planungsmethode veränderte Prozesse im Architektur- und Ingenieurbüro, auf der Baustelle und im Gebäudebetrieb impliziert. Die Nutzbarmachung der Fülle von Daten und Informationen, Checklisten, Fachplanungen, Protokollen und Monitorings, die in einem Projekt entstehen, erfordert neue Wege zu gehen. Denn ihr Potenzial für den gesamten Planungs- und Bauprozess sowie den anschließenden Gebäudebetrieb ist immens. Die Beteiligten müssen jedoch lernen, Planungsdaten zu qualifizieren und ebenso sinnvoll im Bauprozess und im Gebäudebetrieb einzubinden. Denn auch dort lassen sie sich nutzen: zur Fehlervermeidung in der Bauphase und zur qualitativen Verbesserung unserer gebauten Umwelt mit nachhaltigen sowie langlebigen Bauten.
Bauindustrie deutschlandweit mit zweithöchstem Digitalisierungspotential
Ohnehin sind in diesem Zusammenhang umfassende Strategien gefragt, die ein Gebäude nicht als Investment, sondern als Beitrag an die Gesellschaft in einem städtebaulichen Kontext und einem baulichen Umfeld verstehen. Baukultur als Oberbegriff manifestiert diesen wichtigen Anspruch: Unsere Straßen und Häuser, Brücken oder Tunnel sind nicht allein als funktionale Beiträge für eine prosperierende Region, Stadt oder Gemeinde zu verstehen. Vielmehr ist dringend eine ästhetische und konstruktive Qualität notwendig, die die Funktion als notwendige Basis voraussetzt – aber weit mehr als diese schafft.
Das digitale Planen und Bauen ist eingebettet in die Transformation unseres analogen Lebens- und Arbeitsumfeldes. Es lässt sich nicht solitär betrachten; Vernetzung und die Digitalisierung von Standardprozessen werden das Bauen in der Zukunft erleichtern. Das ist auch dringend notwendig, wenn man den momentanen Digitalisierungsgrad am Bau betrachtet: Das Bauwesen liegt in Deutschland auf dem vorletzten Platz im Digitalisierungsindex. Lediglich das Fischereiwesen ist noch rudimentärer digitalisiert. Dabei sind Vorteile wie eine optimierte Vorfertigung und hohe Präzision dank digitaler Produktionsprozesse nicht von der Hand zu weisen. Doch das Bauen zeigt auch erste Lösungsansätze im Transformationsprozess. So ist es bereits Standard, Planungsdaten direkt aus dem BIM-Modell in Fertigungsdaten einer CNC-Fräse zu überführen und daraus exakt und millimetergenau den Abbund eines Dachstuhls zu erstellen. Und es ist längst keine Zukunftsmusik mehr, mit einem Betondrucker ganze Häuser oder mit einem Mauerroboter Wände, Geschosse oder Tragstrukturen zu fertigen.
Digitalisierung kombiniert Handwerk, digitale Planung und Robotik
Dass Roboter in den nächsten Jahren und den kommenden Jahrzehnten unsere Industrieproduktion weiter verändern, wird niemand bestreiten. Robotertechnik kommt in allen relevanten Wirtschaftszweigen bereits mehr oder weniger zum Einsatz – ebenso im Bauen. Die bereitwillige Umstellung auf eine digitale Planung oder digitalisierte Fertigungsmethoden ist dabei keineswegs der Garant für eine sorgenfreie Zukunft. Im Gegenteil: In den Architektur- und Planungsbüros, auf den Baustellen und in den Bauämtern bleibt weiterhin wertvolles menschliches Knowhow gefragt. Vielmehr sind es das Zusammenspiel von digitaler Planung, qualitätsvollem Handwerk und robotischer Produktion – im Spannungsfeld zwischen Unikat und individualisiertem Massenprodukt – die das Bauen der Zukunft bestimmen werden.
Unsere Baustellen werden schnell auf die anstehende digitale Transformation reagieren müssen. Fachkräftemangel auf der einen und eine immer höhere Qualifizierung des Personals bei der Programmierung und Nutzung digitaler Werkzeuge im Baustelleneinsatz fordern die deutsche Bauindustrie zusätzlich. Und veränderte Arbeitsaufgaben sowie bisher unbekannte Berufsbilder treffen auf ein bisher traditionalistisches Bauhandwerk. Neue Wege zu beschreiten bedeutet also, analoge Bauabläufe in eine digitale Bauwelt zu transferieren. Dennoch gilt: Digitale Werkzeuge allein schaffen weder eine bessere Architektur noch bedeuten sie im Umkehrschluss den Verlust von Architekturqualität durch die voranschreitende Automatisierung des Bauens. Es sind lediglich Tools, die dem Architekten, Planer, Fachhandwerker oder Bauherrn den Weg in die Digitalisierung erleichtern und seine Arbeit optimieren.
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