Interview mit Ines Prokop (BVBS GF) und Markus Gallenberger
Auf dem Weg zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele muss die Baubranche die Potenziale der Digitalisierung ausschöpfen. Im Interview diskutieren Ines Prokop und Markus Gallenberger, welchen Einfluss die Planungsphase auf nachhaltiges Bauen hat, warum das SAF der Arbeitsmethode BIM gut tut und inwieweit Tragwerksplaner von der Engineering Alliance profitieren.
Guten Tag Frau Prokop, guten Tag Herr Gallenberger. Nachhaltiges und effizientes Bauen kann überall dort umgesetzt werden, wo der Lebenszyklus eines Bauwerks dank digitaler Lösungen ganzheitlich betrachtet wird. Inwiefern prägt speziell die Planungsphase den Lebenszyklus eines Gebäudes?
Markus Gallenberger: Aus ökonomischer und ökologischer Sicht ist die Planungsphase maßgebend, denn sie legt den Grundstein für ein effizientes Bauen. In der Planungsphase wird ein konsistentes Modell erstellt, auf das die Projektbeteiligten als zentrale Datenreferenz zu jeder Phase des Lebenszyklus zugreifen. Durch aktive Steuerung kann in der Planungsphase der größte Einfluss auf Lebenszykluskosten, die technische Realisierbarkeit und die Langlebigkeit eines Bauwerks genommen werden.
Die Mitglieder des BVBS bilden mit ihren digitalen Lösungen die gesamte Wertschöpfungskette des Bauwesens ab. Dazu gehören auch Anbieter von Software für statische Berechnungen. Welchen Beitrag kann die softwaregestützte Tragwerksplanung zu einem nachhaltigen und ressourceneffizienten Bauen leisten?
Ines Prokop: Bei einem Massivbauwerk entfallen über 50 % der CO₂-Emissionen, die durch den Bauprozess erzeugt werden, auf das Tragwerk. Somit liegt in der Bemessung von Tragwerken ein enormes Potenzial zur Einsparung von CO₂. Die Klimaziele und die steigenden Preise zwingen Tragwerksplaner dazu, Rohstoffe sinnvoll einzusetzen. Software für die Tragwerksplanung ist als Werkzeug also Grundvoraussetzung dafür, die richtige Balance zwischen Materialeffizienz und Nachhaltigkeit einerseits und einem wirtschaftlichen Bauprozess andererseits zu finden.
Nun sind nicht nur die Tragwerksplaner, sondern auch die Architekten in die Planungsphase eingebunden. Um die Planung möglichst effizient zu gestalten, bietet es sich an, die Zusammenarbeit dieser Akteure zu optimieren. Wie kann das künftig gelingen?
Markus Gallenberger: Um die Disziplinen zusammenzubringen, lässt sich mit digitalen, softwaregestützten Lösungen ein Umfeld erzeugen, in dem der intelligente Datenaustausch zwischen Architekten und Tragwerksplanern weitgehend automatisiert vonstattengeht. Richtig eingesetzt, können die verschiedenen Gewerke nach dem Leitgedanken der Arbeitsmethode BIM effizienter, präziser und flexibler zusammenarbeiten – vor allem dann, wenn die Lösungen OPEN-BIM unterstützen.
Welche konkreten Lösungen bieten FRILO und SCIA, um einen Beitrag zur Förderung von BIM als Arbeitsmethode der Zukunft zu leisten?
Markus Gallenberger: Mit dem BIM-Connector lassen sich CAD-Modelle in FRILO importieren, wo dann die statischen Berechnungen stattfinden. Mit dem SCIA AutoConverter lässt sich ein 3D-Strukturmodell aus einer beliebigen CAD-Software automatisiert in ein genaues Analysemodell umwandeln. Beide Lösungen ermöglichen Tragwerksplanern die Teilhabe an einem OPEN-BIM-Prozess und ersetzen das zeitaufwändige und fehleranfällige, erneute Modellieren.
In der Planungsphase können Projektbeteiligte auf das Structural Analysis Format als Austauschformat von Daten zurückgreifen. Inwieweit grenzt sich SAF von anderen Austauschformate ab?
Ines Prokop: SAF ist ein herstellerneutrales Datenaustauschformat, das insbesondere den direkten, verlustfreien Austausch von Analysemodellen in der Tragwerksplanung vereinfacht und fördert. Dank ausbleibender Datenverluste bei der Übergabe entfällt das zeitaufwendige Neumodellieren auf Seiten des Tragwerksplaners. Das Format basiert auf Excel und ist damit besonders anwenderfreundlich, praktikabel und intuitiv, weil Bauingenieure mit Excel vertraut sind. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass mit SAF deutlich kleinere Datenmengen erzeugt werden als zum Beispiel mit IFC.
SAF kann dazu beitragen, BIM in der Tragwerksplanung voranzubringen. Welche Hürden müssen genommen werden, um die Akzeptanz von SAF zu erhöhen?
Ines Prokop: Es gibt immer mehr Softwareanbieter, die SAF importieren und exportieren können. Um die Akzeptanz bei den Anwendern zu steigern, müssen wir einerseits den Brückenbau als wichtiges Anwendungsgebiet stärker berücksichtigen als bisher. Zum anderen planen wir, einen Arbeitskreis zu gründen, in dem wir Softwareanbieter und Softwareanwender zusammenbringen, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mittelfristig soll SAF zudem zertifiziert werden, um das Vertrauen in das Austauschformat zu erhöhen.
Warum ist SAF vor allem für FRILO- und SCIA-Nutzer von Vorteil?
Markus Gallenberger: Der hohe Grad an Interoperabilität bietet einen reibungslosen Datenaustausch zwischen SCIA und FRILO. Einige direkte Schnittstellen wurden bereits realisiert. So findet die Übergabe der Gebäudedaten vom FRILO-Gebäudemodell GEO an SCIA Engineer für den Erdbebennachweis auf SAF-Basis statt. Weitere nützliche Schnittstellen werden bald folgen.
SCIA und FRILO werden in diesem Jahr die gemeinsame Zusammenarbeit intensivieren. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Markus Gallenberger: Wir möchten Synergien nutzen, um unsere Kunden noch besser in ihren Projekten unterstützen zu können. SCIA und FRILO ergänzen sich bereits heute erstklassig. Während Anwender mit SCIA Engineer komplexe 3D-Modelle übersichtlich darstellen können, überzeugt FRILO mit simplen, zeiteffizienten statischen Berechnungen einzelner Bauteile. In Kombination decken beide Programme also einen Großteil der realen Anwendungsfälle akkurat ab.
Mit welcher mittel- und langfristigen Zielsetzung wurde die Zusammenarbeit intensiviert?
Markus Gallenberger: Ziel der Kooperation ist es, unseren Kunden ein umfassendes Gesamtpaket an statischen Darstellungs- und Berechnungsmöglichkeiten zu liefern, das am Markt seinesgleichen sucht. Aus diesem Grund haben wir jüngst die Engineering Alliance gegründet, die nach heutigem Stand aus SCIA, FRILO und DC-Software besteht. Durch die engen Beziehungen in den Bereichen Software-Entwicklung, Service und Produktmanagement werden bestehende Schnittstellen zwischen den drei Softwarelösungen ausgebaut und neue, nutzenstiftende Übergabemöglichkeiten entstehen.
Frau Prokop, welche Hoffnungen und Erwartungen knüpfen Sie an die Zusammenarbeit der beiden Softwarehäuser?
Ines Prokop: Ich freue mich immer, wenn verschiedene Unternehmen die Zusammenarbeit intensivieren, denn die digitale Transformation der Baubranche gelingt nur mit gemeinsamen Standards und optimierten Schnittstellen. Es gibt nicht das eine Programm am Markt, das sämtliche Ansprüche und Herausforderungen der Baubranche löst. Insofern erhoffe ich mir von der engen Kooperation einen optimalen Datenaustausch zwischen den Lösungen und folglich zufriedene Anwender.
Das Video zum Interview “Die digitale Transformation der Baubranche” finden Sie hier:
https://www.youtube.com/watch?v=Q‑0oOXndp‑A&t=1s
Die 3D-Ansicht eines Gebäudes im SCIA AutoConverter (©SCIA)
ZUR PERSON:
Markus Gallenberger übernahm im Dezember 2018 als CEO die Leitung bei der FRILO Software GmbH. Seit April 2022 bekleidet er außerdem das Amt des CEO beim belgischen Software-Unternehmen SCIA. Beide Softwarehäuser gehören zur Nemetschek Group und bieten Berechnungsprogrammen für baustatische Aufgabenstellungen und Tragwerksplanung an.
Ines Prokop ist seit Mai 2020 Geschäftsführerin des Bundesverband Bausoftware e.V. Der BVBS verfolgt seit 1993 das Ziel, die Leistungsfähigkeit und die Innovationskraft der Bauwirtschaft durch den Einsatz von Bausoftware zu verbessern. Um die Qualität der digitalen Transformation zu steigern, führt der BVBS seit Jahren Zertifizierungen für den Datenaustausch von Softwareanwendungen durch.